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27 Jul. 2005, Wien
 
Über den Philosophen Pierre Bourdieu im Salzburger Nachtstudio auf Ö1
Die feinen Unterschiede der menschlichen Klassen
 
Der Philosoph Pierre Bourdieu hätte am 1. August seinen 75. Geburtstag gefeiert. Der im Jahr 2002 in Paris verstorbene Star-Philosoph schaffte, was kein Wissenschafter vor ihm erreicht hatte. Er machte einen 1.000-Seiten-Schmöker - die erste grundlegende Sozialrecherche Frankreichs - zum Bestseller: "Das Elend der Welt" inspirierte einen ganzen Wissenschaftszweig.

Grazer Kulturanthropologen griffen seine Theorien und Feldforschungen auf und schrieben über "Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus" (Löcker Verlag). Wie der Franzose setzen die Grazer Forscher nicht bei der materiellen Armut, sondern beim gesellschaftlichen Leiden durch den Neoliberalismus an, beim Verlust sozialer Gewissheiten. "Für nicht gelingendes Leben ist jeder selbst verantwortlich" - mit dieser fatalen, neoliberalen Maxime gab sich Bourdieu nie zufrieden. Er entlarvte die Systeme, in die Sieger und Verlierer hineingeboren werden.

Der Bourdieu-Erbhalter Franz Schultheis in Genf arbeitet derzeit an einer Elendsstudie in Deutschland. Die Eliten, der "Habitus", das "Ritual", "das soziale Feld" - all diese Forschungsthemen wären ohne Bourdieus Theorien heute undenkbar. Und schließlich ist seit Bourdieus "raison d'agir" (Grund zu Handeln) die Rolle, die die Wissenschafter zu übernehmen haben, klar: mit ihrer Kompetenz in die Politik einzugreifen und "Gegenfeuer" gegen Menschenrechtsverletzungen, Rassismus oder Ausbeutung zu liefern. Bourdieu sprach sogar von "unterlassener Hilfeleistung", wenn Wissenschafter schweigen.

In seinem wohl bekanntesten Buch La distinction (1979, dt. Die feinen Unterschiede, 1982) analysiert Bourdieu wie Gewohnheiten, Freizeitbeschäftigungen, und Schönheitsideale dazu benutzt werden, das Klassenbewußtsein auszudrücken und zu reproduzieren. An zahlreichen Beispielen zeigt Bourdieu, wie sich Gruppen auf subtile Weise durch die feinen Unterschiede in Konsum und Gestus von der jeweils niedrigeren Klasse abgrenzen.

Mit Le sens pratique (dt. Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, 1987) folgte 1980 eine ausführliche Reflexion über die konkreten Bedingungen der Wissenschaft, in der Bourdieu das Verhältnis von Theorie und Praxis neu zu denken versucht. Ziel dieser Analysen ist es, die "Objektivierung zu objektivieren" und einen Fortschritt der Erkenntnis in der Sozialwissenschaft dadurch zu ermöglichen, daß sie ihre praktischen Bedingungen kritisch hinterfragt.
 
Quelle: Ö1


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Autor: Harald Kviecien; Copyright: One Health Forum; Publiziert von: Harald Kviecien (kviecien)
factID: 210059.1; Publiziert am 27 Jul. 2005 21:50